Christoph Kleinschmidt
Semantik der Grenze.
BpB: APuZ 13.01.2014 Online
»Grenze« wird heute allgemein und zunächst verstanden als Grenze zwischen Herrschaftsbereichen, die sich auf der Karte als eine feste Linie darstellt und in der Wirklichkeit meist ebenso scharf als Zaun, als Paßhöhe, als Fluss hüben und drüben deutlich trennt. Das ist nicht immer so und bildet auch historisch eine Ausnahme 1).
Nail, Thomas
Verbittert glossierte 3) Kurt Tucholsky
1920 die rechtlichen Verhältnisse an den europäischen Grenzen, wo ein Schritt aus dem Bürger einen Fremden und ein weiterer Schritt den Fremden zum Vogelfreien machen. Für Reisende stehen Staatsgrenzen im Vordergrund, denn für das Übertreten sind Regeln (z. B. Zoll) zu beachten, es werden Dokumente benötigt (z.B. Reisepass, Fahrzeugpapiere), es ändern sich Vorschriften und Gesetze. Hier übt der staatliche Souverän seine Macht aus, zeigt militärische Stärke, politisches Selbstbewußtsein, wirtschaftliche Zwänge (»Grenzregime«). Das Kontrollbedürfnis an der Schranke ist dem Staat zumindest in der Neuzeit zu eigen »So wie man an der Grenze Personen, Bücher, Gedanken beobachten muss, so auch Waren; denn sind sie einmal im Staatsgebiet verteilt, so kann man sie nicht mehr mit Sicherheit kontrollieren.« 4).
Grenzübergangsstellen können bewacht sein oder auch nicht, dort wird kontrolliert oder auch nicht. Der Grenzverlauf zwischen zwei Grenzübergangsstellen wird umgangssprachlich als Grüne Grenze bezeichnet, ein Verlauf über größere Gewässer auch als Blaue Grenze. Der »Schengener Grenzkodex« (EU-Verordnung 2016/399) regelt ausdrücklich, dass die Binnengrenzen im Schengenraum an jeder Stelle passiert werden dürfen, ohne besondere Genehmigungen oder Kontrollen. Das unterschiedliche Verständnis von Grenzen bestimmt das Denken und Verhalten der Menschen unbewusst bis heute 5):
Wilfried von Bredow
Dieter Kreutzkamp
, Rupert Heigl
Dieter Kreutzkamp
der ehemaligen Grenze BRD/DDR, dem betonierten Plattenweg, quer durch Deutschland und nennt ihn »die einsamste Straße Deutschlands« – nur eine Ortsdurchfahrt, kein Gegenverkehr, keine Verkehrsschilder und gleichzeitig die stillsten und schönsten Naturregionen Deutschlands.Die Natur kennt keine Grenze, denn natürliche Räume gehen immer ineinander über, so hat der Waldrand andere Eigenschaften als der benachbarte Wald oder das offene Feld. Das Trennende in der Natur ist immer auch durchlässig, wie etwa die Membran einer Zelle die Osmose ermöglicht. Das Trennende ist daher immer ein Bereich, der auch verbindet. Die Fortbewegung in der Natur stößt zwar auf Widerstand, wenn ein Fluss oder ein Gebirge trennend wirken, jedoch ermöglichen eine Furt oder ein Pass immer auch einen Übergang. Bereiche, die sowohl Widerstand als auch Übergang beinhalten, werden als Schwelle wahrgenommen. Der Mensch hat natürliche Schwellen benutzt und aus dem trennenden Bereich (z. B. Mark) eine Grenze (engl. boundary line) gemacht. Die Schwelle des Hauses heißt lateinisch limen `das Querholz´, die gerodete Bahn zwischen befriedeter Fläche und der Wildnis heißt lateinisch limes `der Quergang´, doch beruhen beide Begriffe auf derselben Idee, das Eigene vom Anderen zu trennen, also den Feind (hostis) draußen zu halten und den Gast (hospiz) einzulassen.
Das Auflösen einer Grenze führt aus heutiger Sicht zu einem Naturzustand, der die Ordnung auflöst und Wildnis zulässt; Grenzgänger werden misstrauisch beobachtet, weil sie auch die Grenze zwischen Leben und Tod beschreiten. Der Begriff »Grenze« wurde erst ab dem 12. Jahrhundert ins Deutsche übernommen; er stammt aus den slawischen Sprachen und bezeichnet dort eine Grenzlinie wie sie in den ostmitteleuropäischen Steppengebieten üblich war.
In Westeuropa dagegen bildeten die Wälder zwischen den Rodungsdörfern einen Grenzbereich ohne deutliche Linie; Grenzen wurden bis dahin als »Marken« bezeichnet und als Flächen gedacht, die oft gemeinsam genutzt wurden. Natürlich entstanden daraus Konflikte. Wenn es aber weder physisch noch als Denkfigur die Grenze gab, so konnten Lösungen nur durch Konsens im Miteinander gefunden werden - man war gezwungen, etwas Gemeinsames zu finden. Der Denkfigur der Grenze kam die Hecke am nächsten, diese war jedoch durchlässig und verband das Innen und Außen. Die Spezialistin für die Kommunikation zwischen Innen und Außen war die Heckenreiterin, die Hagazussa, kurz: die Hexe. In vielen Kulturen finden sich Grenzgottheiten (liminal deities), die als Reisegötter oft heute noch die Reisenden beschützen.
Oliver Eberl
Christoph Motsch
Bärmann
, F. Bauer
, Markus, Rahn, Thomas (Hg.) Betteridge, Thomas
Balint Balassi
's 'In Laudem Confiniorum' and other soldier-songsThomas Coryate
Sir Henry Wotton
as diplomat, pedagogue and Italian cultural connoisseurHans Staden
and Walter Raleigh
Böckler
, S. Bosselmann-Cyran, Kristian, Ulrich Knefelkamp
Helene Breitenfellner
Brauer, R.
Haubrichs
, W./Schneider, R. (Hg.) Haushofer
, K. Helmolt
, H. F. Eva Horn
, Stefan Kaufmann
, Ulrich Bröckling
Karp
, H.-J. Kolb
, H. Magris, Claudio
Medick
, H. Pfister
, M. Scattola
, M. Schmale
, W.Schmale
, W.; Stauber, R. (Hg.) Schneider
, R. Sieber-Lehmann
, C. Wokart, Norbert
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Mike Pincombe
Balint Balassi
's 'In Laudem Confiniorum' and other soldier-songsM. J. Fraenzi
E. Saurer
: Straße, Schmuggel, Lottospiel. Göttingen 1989Norbert Seitz
Grenzen. Die Geschichte des Zusammenlebens